Der letzte Flug der Lufthansa aus Berlin, endete am 21. April 1945 im Wald bei Piesenkofen, Gemeinde Egglkofen
Orkanartige Windböen und Schneegestöber, machten es dem Flugkapitän August Künstle unmöglich, die vom Flughafen Berlin-Tempelhof gestartete viermotorige Condor D-ASHH „Hessen“, auf dem Flugplatz München-Riem zur Landung zu bringen. Künstle drehte in einer Ostschleife ab, ein Motor fing Feuer, explodierte, ein Tragflächenteil wurde abgesprengt, die Maschine stürzte fast senkrecht in einen Wald bei Piesenkofen. Beim Absturz kamen ca. 25 Personen ums Leben.
Absturzstelle: Bodenveränderung durch den Einschlag des Rumpfes,
nach hinten ist die Bodenveränderung durch den Rumpf ersichtlich
Die Verlegung der Lufthansa-Ausweichdirektion von Berlin nach München erfolgte bereits am 20. April 1945, nachdem bereits ein Stab von ca. 35 Mitarbeitern vor Wochen schon nach München beordert wurde. Am 21. April erfolgte dann als letzter Akt, die Verlegung der Flugbetriebsleitung nach München. Schon am Morgen starteten zwei Ju 52 in Berlin mit Ziel München; am Abend dann, als letzter Flug mit Flugkapitän Künstle, die Condor „Hessen“, die bei Piesenkofen verunglückte. Der Flug diente im Übrigen nicht nur der Verlegung der Flugbetriebsleitung, sondern auch der Beförderung von Passagieren, unter denen sich ein SS-Standartenführer befand, der im dienstlichen Auftrag reiste und Geheimschreiben des Reichssicherheitshauptamtes nach Spanien bringen sollte.
Der Funker Friedrich Herold erhält in seiner Waldtruderinger (bei München-Riem) stehenden Funkbaracke gegen 20.25 Uhr aus Berlin den Funkspruch, dass die Condor mit dem Ziel München gestartet sei. Er hatte selbst keinen Funkverkehr mit der Condor, hörte aber die letzte halbe Stunde vor dem Absturz, den Funkverkehr der Maschine mit dem Peiler ab. Um ca. 21.50 Uhr hat das Flugzeug Peilzeichen vom Flughafen München verlangt und erhalten, letzter Standort etwa Straubing. Gegen 22 Uhr hörte Herold das Motorengeräusch über dem Flugplatz, aber nach einer Schleife entfernte sich das Flugzeug in südöstlicher Richtung. Plötzlich war die Funkverbindung abgebrochen; auf die laufenden Bemühungen des Peilers erfolgte keine Antwort. Nach dem spurlosen Verschwinden der Maschine erhielt Herold nach einer Anforderung, von der Funkstelle Berlin-Tempelhof die Namenliste der Insassen, die aber nicht vollständig war.
Die Maschine war verschwunden und tauchte in den Unterlagen der amtlichen Stellen erst viereinhalb Jahre später wieder auf.
Nun war es aber vierzehn Tage vor Kriegsende. Durch den Luftangriff auf Mühldorf am 20. April und auf Rosenheim, um die Mittagszeit des 21. April (am Absturztag), war die eigene deutsche Luftabwehr mobilisiert. Wurde die Maschine von der eigenen Flak abgeschossen? Im Moment des Anfluges der Condor in den Münchner Flugsicherungsraum, waren wegen dem schlechten Wetter keine feindlichen Flugzeuge gemeldet. Dann konnte die Condor eigentlich nur durch einen Blitzschlag oder einem Motorbrand, mit anschließender Explosion zum Absturz gebracht worden sein.
Der Absturz war bei Piesenkofen. Zeitzeugen berichten von einem brennenden, im Inneren hell erleuchtenden, laut brummenden Flugzeug, das im Umkreis von etwa 5 km von der Absturzstelle, zu hören und zu sehen war. Bei Piesenkofen explodierte der linke äußere Motor, die dazugehörige Tragfläche wurde abgesprengt und flog in eine Wiese nahe der Absturzstelle. Flugkapitän Künstle zog die tieffliegende Condor steil in die Höhe, streifte dabei die am Waldrand stehenden Baumwipfel, und stürzte dann fast senkrecht in den Wald. Keine lange Einschlagschneise ist heute noch zu sehen, nur ein fast kreisrundes Loch von ca. 20 Metern im Durchmesser, in dem keine Bäume stehen. Die lange Schnauze bohrte sich in den Waldboden. Nach Augenzeugenberichten schmorte die Maschine etwa drei Tage dahin, alles roch nach Sprit, verbranntem Kunststoff und Verschmortem.
Die abgestürzte Focke Wulf 200B-2, Condor, D-ASHH „Hessen“ war zu dieser Zeit das größte, beste und modernste viermotorige Langstrecken-Flugzeug Europas. In der Grundauslegung hatte das viermotorige Flugzeug eine vierköpfige Besatzung, eine Spannweite von 33 Metern, eine Länge von 24 Metern und den Platz für 26 Fluggäste. Sie wurde in 24 Varianten gebaut. Vom Typ FW 200B-2 besaß die Lufthansa zwei Maschinen, die „Pommern“ und die „Hessen“.
In den nächsten Tagen besuchten viele Personen die Absturzstelle im Wald. Der Egglkofener Ortsgruppenführer gab zu Protokoll: „Ich habe am Samstag den 21. April zwischen 22 und 23 Uhr ein starkes Motorengeräusch gehört und in der stürmisch-regnerischen Nacht einen hell leuchtenden Feuerstreifen gesehen. Eine Absturzdetonation wurde nicht wahrgenommen. Am nächsten Tag zwischen 6 und ½ 7 Uhr Morgens, kam ein Bauer aus Piesenkofen und machte die Mitteilung, dass ein Flugzeug im Wald abgestürzt ist. Gleichzeitig übergab er folgende Gegenstände, die er am Unfallort gefunden hatte: Eine lederne stark gebrauchte Aktentasche, der Inhalt wurde nicht untersucht. Eine grünliche Passkarte, ausgestellt auf den Namen des Flugkapitän Künstle (Angabe: Kienzle oder Steinle). Ein Reisepass, lose Fotografien mit verschiedenen Aufnahmen mit einem Mann, untersetzter Statur, einer Frau und einem 12 bis 16-jährigen Mädchen, etwas deutsches und ausländisches Geld, etwa 2.000 Reichsmark und ca. sechs gelbliche seidene Tücher im Taschentuchformat, mit aufgedruckten Landkarten von Spanien. Alle Gegenstände waren stark fettig und hatten einen scharfen Geruch von Brand, Fett und Benzin an sich. Daraufhin begab er sich (der Ortsgruppenführer) an den Unfallort in einem Jungholzbestand. Am Absturzort war keine Schneise im Gehölz, sondern nur eine runde Platte, was sofort zur Annahme führte, das Flugzeug war fast senkrecht von oben her abgestürzt. Dort selbst war ein Loch, etwa drei Meter im Durchmesser, in dem sich ein stark weißglühender Brandherd befand. Etwa zehn Meter entfernt lag ein Leitwerkteil. Außerdem lag neben dem Brandloch ein zerborstenes Fahrrad. Beim Eintreffen an der Unfallstelle um 8 Uhr morgens hat es noch stark gebrannt. Folgendes wurde noch festgestellt: Ein ausgebrannter Schädel am Rande des Brandlochs, daneben noch ein weiterer ausgebrannter Schädel und ebenso ein Teil eines weiblichen Oberkörpers. Es handelte sich um die Hälfte eines Kopfes mit Rumpf mit einem Teil des Oberschenkels und einem Arm (dies war der am besten erhaltene Teil eines menschlichen Körpers), dann ein verbrannter Körper eines Kindes (etwa 12-16 Jahre alt). Unmittelbar neben der Unfallstelle wurden die menschlichen Teile beigesetzt. Bei dieser Gelegenheit wurde durch einen Volkssturmmann (Bauern) von der Hand des weiblichen Körperrestes ein leichter, flacher, goldener Ehering abgenommen und später durch diesen der Polizei unmittelbar übergeben. Ebenso wurden die sichergestellten Gegenstände der Polizei übergeben. Etwa 150 Meter von der Absturzstelle, wurde ein etwa drei Meter langes Teil einer Tragfläche aufgefunden, das kreisrunde fingerstarke Löcher aufwies. Sonst sind auch im weiteren Umkreis der Schadenstelle keine weiteren Teile des Flugzeuges festgestellt worden. Der Platz wurde sofort durch Volkssturmmänner abgesperrt und Meldung an die Polizei und den Landrat mit normaler Post erstattet, da kein Telefon zu dieser Zeit mehr betriebsbereit war.“ Dies waren nun die Angaben aus Aufzeichnungen des Egglkofener Ortsgruppenführers, die im September 1949 gemacht wurden und sich im Lufthansa-Archiv in Köln befinden.
Am Morgen des 24. April traf die Polizei von Neumarkt St. Veit ein. In einem noch vorhandenen Schreiben, das aber wegen seiner Länge hier nicht angeführt werden kann, berichtet der Polizist an das Amtsgericht Mühldorf (Siehe: „Das Mühlrad“, Beiträge zur Geschichte des Inn- und Isengaues, Band XLV, Jg. 2003, Seite 131 bis150, Peter Käser, „Der Absturz der D-ASHH „Hessen“ am 21. April 1945 in Piesenkofen): „Am Unfallort waren Reste von etwa 5 Leichen, sämtliche bis auf geringe Reste verkohlt. In zwei angebrannten Aktentaschen, die der Ortsgruppenführer von Egglkofen sichergestellt hatte, konnten Ausweispapiere, Pässe und ein Kinderausweis sichergestellt werden. Ferner befanden sich in den fraglichen Aktentaschen eine Anzahl von geheimen Papieren und geheime Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes-Fernschreibstelle. Weiterhin sind unter den aufgefundenen Papieren Briefschaften, u.A. an den Flugleiter von München und an das Auswärtige Amt-Kurierabteilung Berlin. In einer Brieftasche befanden sich neben Fotografien auch ein Geldbetrag von 2632 Reichsmark und einige ausländische Geldscheine. Die unter den Trümmern des Flugzeuges geborgenen Leichenteile wurden von Arbeitern der Gemeinde Egglkofen feldmäßig beerdigt. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich in dem Flugzeugrumpf, der tief in die Erde eingegraben ist, noch weitere Leichen befinden. Die Kriminalpolizeileitstelle München wird gebeten, bezüglich Bergung des eingegrabenen Flugzeugrumpfes Weiteres zu veranlassen. Zurzeit werden die Trümmer des Flugzeuges usw. durch den Volkssturm Egglkofen bewacht.“ Dies sind in gekürzten Worten, einige Angaben der Polizeistelle Neumarkt.
Im Zuge des völligen Zusammenbruchs und des Kriegsendes, konnten die Nachforschungen nach der abgestürzten Condor, nicht mehr fortgesetzt werden. Eine Nachfrage im Jahr 1949 beim damaligen, den Unfall bearbeitenden Neumarkter Polizeikommissär hatte ergeben, dass die sichergestellten, gefundenen und überbrachten Gegenstände der Condor „Hessen“ seinerzeit bei der Polizeistelle in Neumarkt St. Veit verwahrt wurden und ein Bericht an das Landratsamt in Mühldorf ging. Die Absturzstelle wurde seinerzeit von der Polizei besichtigt, jedoch wurden weitere Sachen, als die bereits vom Ortsgruppenführer abgegebenen, nicht gefunden. Die bei der Polizei in Neumarkt lagernden Gegenstände wurden im Herbst 1945 in einem Jeep, der von der Militärregierung in Vilsbiburg kam, abtransportiert. Jedenfalls waren 1949 im Landratsamt Mühldorf und bei der Polizei in Neumarkt keinerlei Unterlagen zum Unfall mehr vorhanden. Die nach München abgelieferten Sachen waren auch dort nicht mehr aufzufinden.
Viereinhalb Jahre nach dem Absturz der „Condor D-ASHH „Hessen“, kamen erst weitere Tatsachen an die Öffentlichkeit. Ein Brief an die Abwicklungsstelle der Deutschen Lufthansa in München im September 1949, durch einen in Teising bei Neumarkt lebenden ehemaligen Flugzeugführer der Wehrmacht, brachte die Sache wieder ins Rollen. Anfang September 1949 kam ein Ungar zu diesem und fragte, ob ihm ein Flugkapitän August Künstle bekannt sei. Von diesem hatte der Ungar ein Stück von einem Versicherungsschein gefunden. Aus diesem Schein soll lediglich der Name, die Versicherungssumme von 15.000 Reichsmark, der Wohnort und der Zusatz, dass diese Versicherungssumme nicht an die Ehefrau auszuzahlen sei, hervorgehen. Das Übrige dieses Schreibens ist verbrannt. Der Ungar hinterließ keinen guten Eindruck. Er fand die Höhe der Versicherungssumme als zu gering und wollte bestätigt haben, dass es sich hier nur um 150.000 Reichsmark handeln könne. Außerdem möchte er gerne mit der Ehefrau des Flugkapitäns in Verbindung treten. Das Gefühl, dass hier jemand aus dem Wissen um einen Toten ein Geschäft machen könnte, veranlassten den ehemaligen Wehrmachtpiloten, nun persönliche Ermittlungen in Piesenkofen anzustellen: „Die Motore liegen noch heute (1949) tief im Waldboden. Der Rumpf hat auf der gleichen Höhe mit den Motoren ein tiefes Loch hinterlassen. Auf einem Stück Blech steht die Aufschrift FW (Focke Wulf) 200 Rüstsatz Trw ZU 39/c. Im Loch des Rumpfes ist noch ein Teil einer Schädeldecke, sodass anzunehmen ist, dass hier noch weitere Tote liegen. Es wurde niemals danach geforscht. Die Toten sind an der Unfallstelle buchstäblich „verscharrt“ worden. Der Grabhügel ist durch ein dünnes Birkenkreuz, und mit einem kleinen Kreuz aus Blech „geschmückt“. Die Bauern sind außerordentlich zurückhaltend, sobald jemand nach dieser Maschine fragt.“
Die Toten werden ausgegraben
Im Mai 1950 bemühte sich Walter Leisse aus Erlangen um eine Exhumierung der Leichen, bei denen auch sein Bruder, der Berliner Lufthansa-Flugleiter Eugen Leisse dabei ist. Aus einem Schreiben der Gemeindeverwaltung Egglkofen vom 11.1.1952 geht hervor, dass die Flugzeugreste bis heute liegen geblieben sind, eine Beurkundung im Sterbebuch des Standesamtes noch nicht stattgefunden hat und Pietätgründe die würdige Bestattung der Toten erfordern würden. Erst sieben Jahre nach dem Absturz, werden die Toten nun exhumiert. Am 20. Januar 1952 gibt die Gemeindeverwaltung Egglkofen bekannt, dass am „Montag, den 28. ds. Mts. um 10.30 Uhr in Egglkofen die gerichtliche Umbettung der Flugzeuginsassen, des am 21.4.1945 bei Piesenkofen abgestürzten Flugzeuges stattfindet\". Walter Leisse und Fritz Herold sind bei der Ausgrabung und Umbettung dabei. Von den ausgegrabenen, stark angebrannten, zerstückelten Toten, waren auch Teils nur noch Knochen vorhanden, die in einem großen Holzsarg aufgeschlichtet wurden. Im Protokoll wird berichtet: “…keine Schädel oder zusammenhängende Leichenteile wurden gefunden, vorhandene Reste hatten starke Verbrennungsmerkmale.“ Immer noch stand die Identität des Absturzes in Frage. In einem, im allerletzten Moment ausgegrabenen Körper-Brustteil anhafteten Kleidungsstück, wurde ein Lufthansaausweis in einer Kunststoffhülle, ausgestellt auf August Künstle, dem Flugzeugführer entdeckt und dieser Ausweis brachte nun die endgültige Klärung des Absturzes der Condor „Hessen“.
Granitstelle am Grab bei der Kirche in Tegernbach bei Egglkofen
Am nächsten Tag wurden die Gebeine bei der Filialkirche von Egglkofen, in Tegernbach begraben. Eine, im August 1961 errichtete Granit-Stelle mit der Aufschrift „EUER STERBEN; UNSERE VERPFLICHTUNG HALTET FRIEDEN“ darunter: „Ruhestätte der Opfer des Flugzeugunglücks der Maschine D-ASHH am 21. April 1945 bei Piesenkofen“, erinnert heute noch an den schicksalhaften Absturz.
Zur Erinnerung
Im Wald bei der Absturzstelle wurde 1997 ein weißes Holzkreuz aufgestellt, welches 2003 erneuert wurde. Angebracht war ein eingeschweißter Text mit Informationen zum Absturz. Im gleichen Jahr wurden Verbindungen zu Verwandten der Abgestürzten, soweit welche ermittelt werden konnten, aufgenommen. Vrany Josef war bei dem Absturz ums Leben gekommen. Sein Sohn Karl Vrany besuchte 2003 mit seiner Frau zum ersten Mal die Unglücksstelle und das Grab seines abgestürzten Vaters und war sehr gerührt, als er im Wald bei Piesenkofen ein kleines Gesteck niederlegten durfte. Die Stieftochter des Flugzeugführers August Künstle konnte ausfindig gemacht werden. Die „Künstles“ aus dem Allgäu und aus Tübingen/Stuttgart, etwa 20 Personen besuchen am heutigen 60. Jahrestag des Absturzes, den 21. April 2005, zuerst das Vilsbiburger Museum und dann den Absturz- und Begräbnisort. Gleichzeit wird eine vom Kunstschmiedemeister Josef Scheidhammer aus Jesenkofen erstellte Bronzestelle mit bearbeiteter Schau- und Inschriftentafel, seiner Bestimmung übergeben. Die Gedenk-Stele am Absturzort im Wald bei Piesenkofen, soll eine stete Erinnerung sein, an das Schicksal der ca. 25 tödlich Verunglückten, darunter ein Kind und drei Frauen.
Absturzstelle im Wald bei Piesenkofen, mit einem von Peter Käser errichteten Kreuz und
der Gedenkstelle von Josef Scheidhammer. Die Stelle wurde zum 60. Jahrestag des Absturzes am 21. April 2005 errichtet